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Zwei Tage später fahre ich mit dem Bus von El Chalten 600 km durch die Pampa nach Los Antiguos an der chilenischen Grenze. Die Strecke führt über die Ruta 40, eine wilde ungeteerte Piste mit grundlosem Schotter und starkem Seitenwind. Der kleine Bus schlingert wild durch Kurven und auf den Geraden und bleibt viermal mit defekten Reifen liegen. So dauert die Fahrt 14 Stunden.

Reifenwechsel auf der Ruta 40

Von Los Antiguos sind es 20 km bis nach Chile Chico einer kleinen beschaulichen Stadt am Ufer des Lago General Carrera. Das Schiff über den See fährt montags nicht, so dass ich einen ruhigen Tag am Hafen verbringe. Ein Pärchen aus Seattle leistet mir Gesellschaft. Sie sind mit einem Mietwagen und einem jungen Hund unterwegs und kommen von Puerto Montt. Während wir kochen machen sie ihre erste Bekanntschaft mit den patagonischen Winden, als ein kleiner Windstoß ihre gesamte Ausrüstung über 100 m² verteilt. Ich habe ganz automatisch meine Sachen mit Steinen und Packtaschen beschwert.

Hafen von Chile Chico

Bei Sonnenaufgang fahre ich mit der Fähre nach Puerto Ibañez. Von der Brücke hat man einen herrlichen Blick auf die Umgebung mit vielen Rundhöckern, Moränen und Seen. Auf dem Schiff ist es frisch und ein stürmischer Gegenwind treibt die Gischt immer wieder über die Reeling. Puerto Ibañez ist eine kleine Ortschaft ohne Kern mit nur einem winzigen Laden. So fahre ich durch andine Streusiedlungen weiter und über einen 1.200 m hohen Pass. Hier stoße ich auf die Carretera Austral, die 1976 unter Pinochet begonnen wurde, um den waldreichen und hügeligen Norden Patagoniens zu erschließen.

Carretera Austral

Die Bauarbeiten wurden vom Militär durchgeführt. Durch die Unwegsamkeit des Geländes waren zeitweise mehr als 10.000 Soldaten im Einsatz und der Bau der 1.150 km langen Strecke dauerte über zehn Jahre. Das erstemal seit langer Zeit bin ich wieder auf Teer unterwegs. Rechts und links der Straße erstrecken sich nahezu endlose kühl gemäßigte Regenwälder. Die Bäume sind mit langen Moosen und Schmarotzerpflanzen bedeckt. Um jeden Zentimeter des Bodens kämpfen Farne, Moose, riesige Rharbarberblätter und unzählige Blütenpflanzen. Unterwegs überrascht mich ein Schneeschauer und am nach einer kalten Nacht ist das Zelt mit Rauhreif überzogen.

Carretera Austral

Gemäßigter Regenwald

So packe ich das feuchte Zelt ein und fahre auf der einsamen Straße durch eine hügelige Wiesenlandschaft mit verstreuten Einzelhöfen. Das Ganze könnte auch in den Kaparten sein. Ziel ist die größte Stadt der XI. Region: Coyhaique. Wobei groß relativ ist, die Stadt hat 40.000 Einwohner und wirkt recht verschlafen. Aber für mich gerade richtig, plagt mich doch seit El Chalten ein grippaler Infekt mit Fieber und verstopften Nebenhöhlen. Nachts wache ich mehrmals von Hustenanfällen geschüttelt auf. So verbringe ich den nächsten Tag im Bett, lese viel und stehe nur auf, um etwas zu essen und im Internetcafé um die Ecke Kontakt mit den Lieben zu Hause aufzunehmen. Aber nach zwei Tagen in der Stadt halte ich es nicht mehr aus und fahre morgens weiter in Richtung Norden. Thomas wird schon längst in Santiago sein, solange wie ich für die Strecke hier brauche.

Coyhaique

Die nächsten 50 km sind auf glattem neuen Teer und führen durch tiefen Regenwald in Richtung Pazifikküste. Der Wind im Norden Patagoniens ist deutlich schwächer als im Süden. So habe ich mir die Carretera Austral eigentlich vorgestellt. An der nächsten Kreuzung biege ich nach rechts ab und habe das erstemal seit langer Zeit Rückenwind. Die Sonne scheint, es hat 23°C und so wird die kurze Hose das erste Mal seit zwei Wochen wieder ausgepackt. Hier sehe ich auch die ersten Reiseradler, die auf der Strecke in Richtung Süden unterwegs sind. Die meisten kommen aus Deutschland und der Schweiz. Im nächsten Ort ist Pferdemarkt mit Rodeo und kein Bett mehr frei, so frage ich bei einem Bauern, ob ich unter seinen Kirschbäumen mein Zelt aufbauen kann. No problemo! Die Leute sind nett, aber man muss sie ansprechen, wenn man etwas will.

Pferdemarkt

Am nächsten Tag kommt das unvermeidliche Ende der Teerstraße und die nächsten 30 km sind Großbaustelle mit tiefen Löchern, viel Sand und Baustellenverkehr. Vor mir ist eine frische Spur im losen Untergrund und die Bauarbeiter sagen, dass ein Radfahrer gerade durchgekommen sei. Um 12 Uhr hole ich Thomas ein. Welch freudige Überraschung, dachte ich doch, er wäre schon längst in Santiago. So wird erstmal zusammen Mittag gemacht und die Ereignisse der letzten zwei Wochen ausgetauscht. Er war noch fünf Tage in Puerto Natales festgesessen, da alle drei Fähren mit verschiedenen Schäden nicht auslaufen konnten. Abends bauen wir die Zelte auf einer schönen Wiese auf. Der nächste Morgen beginnt verregnet, so dass wir erst gegen Mittag starten. Sobald die Sonne herauskommt, gleicht der feuchte Wald einem Gewächshaus bei 30°C. Die Piste führt über einen steilen Pass, der "nur" 500 m hat, aber wir sind auf Meereshöhe gestartet.

Mittagspause

Alle Berge oberhalb von 1500 m sind vergletschert. Bei einer Jahresdurchschnittstemperatur von 0°C und 3500 mm Niederschlag kein Wunder. Die Piste führt wieder bergab zu einem stillen Fjord, in dem Lachszucht betrieben wird. Chile ist nach Norwegen Lachsproduzent Nr. 2 auf der Welt. Bei km 1056 habe ich meinen ersten Platten hinten. Wir erreichen abends Puyuhuapi, ein Fischerdorf das 1935 von Deutschen gegründet worden war. Und kommen in einer netten Cabaña unter.

Puyuhuapi

Wir folgen der Piste weiter in Richtung Norden durch Urwälder und Flächen auf denen vor 50 Jahren der Wald niedergebrannt wurde. Noch heute sieht man die toten bis zu 50 m hohen Baumriesen.

Carretera Austral

Am nächsten Tag holt uns das schlechte Wetter wieder ein, es nieselt, regnet und schüttet den ganzen Tag. Wir erreichen Santa Lucia und verbringen den Rest des Tag lesend im Bett. Auch der Tag darauf bringt keine Wetteränderung, so dass ich mit dem Bus die letzten 75 km nach Chaiten fahre. Thomas radelt durch tiefhängende Wolken, Regen und Matsch auf der Piste tapfer weiter. Von Chaiten fährt eine Fähre direkt nach Puerto Montt. Auf Grund starken Windes und der hohen Wellen wird die Abfahrt um zwei Stunden verschoben. Das Schiff ist ein moderner Katameran mit starken Motoren, mein Fahrrad wird im Rettungsboot hinten festgezurrt. Die Überfahrt ist sehr unruhig, außerhalb der Fjorde sind die Wellen über fünf Meter hoch und mehrmals schläg eine Welle über dem kleinen Schiff zusammen. Selbst die Besatzung ist grün im Gesicht.

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